Kassenraub in Virneburg
Anfang 1841 rückten die Preußischen, Russischen und Österreichischen Truppen über den Rhein nach Frankreich vor. Die Franzosen zogen ab. Jetzt sahen die Bewohner des Kantons Virneburg eine Gelegenheit, ihre Steuergelder wieder zurückzuholen. Die damaligen Turbulenzen werden hier zweimal geschildert, einmal nach Virneburger Überlieferung, einmal nach den Akten.
Die Virneburger Legende
Nach Rentmeister Casper
Man schrieb den 2. Januar 1814. Rentmeister Becker saß in seinem Kassenraum und rechnete. Seine Gattin war ihm am Tage vorher, nach schwerem Leiden verstorben. Flüchtlinge des französischen Heeres hatten den Thyphus, auch Nervenfieber und französische Krankheit genannt, ins Dorf eingeschleppt. Eine großes Sterben hatte eingesetzt. Unter den vielen Opfern war auch seine Gattin. Sie hatte nur ein Alter von 42 Jahren erreicht und lag im Nebenzimmer auf der Totenbahre. “Lieber Herrgott, wie hast du mich doch so schwer bestraft”, betet er, “musste es denn sein, warum hast du nicht diesen Leidenskelch an mir vorübergehen lassen! Meine erste Gattin Walpurgis hast du mir vor 5 Jahren genommen und nun auch diese noch, meine frohgemute Claire Lisette.”
Bis Ende Dezember 1813 war er verpflichtet, die eingegangen Steuerbeträge abzuführen, er kam durch die Krankheit seiner Gattin nicht dazu. Heute wollte er das Geld abführen. Ein Haufen Geldrollen lag vor ihm auf dem Tisch. Es sollte nicht sein, es kam anders als er es sich gedacht hatte.
Unglück kommt nie allein, sagt ein altes Sprichwort. Von der Straße her vernahm er plötzlich Geschrei, Pferdegetrappel und eine Kommandostimme. Erschrocken sieht er hin und gewahrt eine Anzahl bärtiger Reiter in Uniformen der russischen Kosaken. Schnell will er das Geld in den Geldschrank bergen, einige Rollen fallen bei der Hast unter den Schrank….. da sind sie schon. Mit Waffen tritt man ihm entgegen, er wird misshandelt, getreten, zu Boden geworfen – endlich gelingt es ihm, ihren Händen zu entkommen. Er ruft um Hilfe, kein Virneburger lässt sich jedoch sehen, alle haben Angst vor der bewaffneten Horde. Er wird noch verfolgt bis in die Irschgasse hinein, man schießt nach ihm, er versteckt sich auf dem Speicher eines Hauses in der Irschgasse.
Die Plünderung der Kasse geht indessen weiter und nicht nur der Kassenbestand wird eine Beute der Räuber, man durchsucht das ganze Haus, man schleppt alles von Wert auf die Straße und stopft es in die mitgebrachten Futtersäcke. Einige der Kosaken waren auf der Straße zurückgeblieben und hielten Wache bei den Pferden.
Therese, ein Kind Beckers von 14 Jahren, musste den Räubern alle Zimmer, wo sie meinten dass etwas zu holen sei, aufschließen, nicht einmal vor dem der Toten wurde Halt gemacht. Auch hier wurde mitgenommen, was wertvoll war. Endlich, nachdem alles geplündert war, verschwand der wilde Tross wieder in der Richtung nach Mayen zu, woher er gekommen war. Man konnte sich die Sache nicht erklären, zumal da Truppendurchzüge in der letzten Zeit nicht erfolgt waren. Die eingeleitete Untersuchung verlief ohne Ergebnisse. Es verbreitete sich das Gerücht, die Kassenräuber seien keine Kosaken, sonder Räuber in Uniformen. Man wollte mit Bestimmtheit einen Mayener Juden unter ihnen erkannt haben. Diese leugnet jedoch hartnäckig. Der Leidtragende war der Rentmeister Becker, er musste die geraubten Gelder ersetzen. Man macht ihm den Vorwurf, nicht rechtzeitig angeliefert zu haben. Wie hoch sich jedoch die gestohlene Summe beläuft, konnte ich nicht erfahren, da diese nicht eingetragen war. Sie muss jedoch schwer hoch gewesen sein; denn Becker sah sich gezwungen, um den Schaden zu ersetzen, einige auswärtige Wiesen und Ländereien zu verkaufen.
Einige Zeit später fuhr jedoch ein Virneburger Gastwirt mit seinem Pferdefuhrwerk an einen Moselort, um eine Last Wein in Empfang zu nehmen. Er kehrt in einer Wirtschaft ein und bestellte sich ein Mittagessen, ruhig sitzt er bei dem Essen, als er auf einmal den Namen Virneburg fallen hört. Er wird aufmerksam und bemerkt in einer Ecke des Wirtszimmer an einem Tisch zwei Männer, welche sich in französischer Sprache gegenseitig Vorwürfe machten und ihn nicht beachteten, jedenfalls in der Annahme, der einfache Bauersmann verstände kein Französisch. Aus dem Wortwechsel geht hervor, dass der Streit wegen des Virneburger Kassenraubes entstanden war, und der eine, beim Verteilen der Beute, von dem anderen betrogen worden war. Unbemerkt verlässt der Virneburger das Wirtszimmer und macht sich an dem Fuhrwerk zu schaffen, um ja keinen Verdacht zu erregen. Und macht der Polizei von dem Gehörten Mitteilung. Die Beiden Männer werden verhaftet.
Beim Verhör stellt sich nun heraus, dass beide Mitglieder zu der Virneburger Räuberbande gehörten, welche mit der Schinderhannesbande in Verbindung stand. Es wurden dann doch noch viele Verhaftungen vorgenommen, auch der Mayener Jude war dabei, sein Leugnen konnte ihm nicht mehr helfen. In Koblenz wurden sie abgeurteilt, ihr Köpfe fielen unter dem Henkerbeil.
Der Bericht nach den Akten
Quellen und Literatur: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 441 Nr 1884
Prößler, Dr. Berthold: Das Ende der französischen Zeit in Virneburg 1814
In Heimatbuch , Landkreis Mayen-Koblenz 1997, Seite 119-121
Im Jahre 1816 ließ der preußische Staat den Kassenraub ausführlich untersuchen. Preußen ist ja Rechtsnachfolger der Franzosen, und so wollte man klären, ob Einnehmer Becker oder die Plünderer das Geld an die Staatskasse zu rückerstatten müssten. Am 4. März 1817 vernehmen der Virneburger Bürgermeister Brühl und der Steueraufseher Buchmann von Ahrweiler die Zeugen. Virneburg gehörte kurzfristig zum Kreis Ahrweiler, ehe es an den Kreis Adenau fiel.
Becker macht folgende Aussage:
,, Am 2. Januar 1814 des Morgens zwischen 6 und 7 Uhr teilte mir in meiner Behausung der hiesige Förster Pung die Nachricht von dem Übergang der Alliierten (also Russen und Preußen) über den Rhein mündlich mit, kündigte mir zugleich an, dass mein Haus von Bauern aus Heckenbach, die während der Nacht angekommen, und die Absicht hätten, die bei ihnen am 29., 30. Und 31. Dezember erhobenen Steuern und Lieferungen nach Mainz mit Gewalt zurückfordern, umstellt sei. Ich ging sogleich in mein Vorhaus, wo ich den Syndikus Servatz Bings aus Cassel und einen großen Teil der Einwohner von Cassel, Fronrath, Watzel, Ober und Niederheckenberg antraf, welche mit Prügel bedrohten, mich zur Herausgabe (der Steuergelder) aufforderten. Ich erwiderte ihnen, dass ich meinen Pflichten gemäß dieser Gelder ohne Beisein des Herrn Maire nicht abgeben könne. Ich ersuchte sie, sich zu dem selben nach Boos zu begeben, und ihn persönlich mitzubringen, und nach dessen Gutbefinden würde ich die fraglichen Gelder abgeben; worauf dann sechs nach Boos abgingen, die übrigen aber zur Bewachung meiner Wohnung verblieben.
Nach Verlauf von einigen Stunden erschien statt des Hr. Maire, der Adjunkt Frein von Boos samt mehreren Einwohner von verschiedenen Gemeinden. Nachdem man sich geeinigt hat, dass die Gemeindegelder gegen eine mir zu erteilende Bescheinigung herausgegeben werden sollten, wurde selbe abgezählt, der Empfangschein angefertigt und als man sich weigerte, selben zu unterzeichnen, verschloss ich die Gelder wieder in der Kasse. Hierauf erschien der von dem Maire gesendete Förster Hottenbach von Boos und Alken von Ürsfeld, erklärend: denjenigen, der die Kasse oder meine oder meine Person anzugreifen wagen würde, auf der Stelle zu erschießen.
Diese Drohung wurde durch das sich vermehrende Gesindel nicht geachtet, man drang in mein Haus und tobte so fürchterlich, dass alle gutgesinnten und ich flüchten mussten. Der Feldschütz Peter Müllenbach aus Herresbach, Schomisch von Döttingen verfolgten mich bis in das Haus des Herrn Greffier Brühl und forderten mich auf, der versammelten Menge von Pöbeln die Kasse freizugeben, man ergriff mich endlich und führte mich ein meine Wohnung zurück. Hier waren alle Zimmer voller Menschen, die nicht nur die vorhandenen sonder auch die während dem Jahre 1813 erhobenen Gelder verlangten, unter diesen befanden sich viele, die niemals Zahlungen an mich gemacht hatten, Peter Klein aus Langenfeld zeichnete sich besonders in Drohen aus, wollte auch selbst mich mit einem Stock, der mit einer spitzen Nadel versehen war durchbohren, wenn nicht obiger Schomisch aus Döttingen den geführten Stoß aufgefangen hätte, wodurch er an der Hand blessiert wurde. Michel Augel von Arft, ein ausgerissener Conscribierter, der mit unbekannt war, auch niemals Steuern gezahlt hatte, drohte mir während 2 Stunden mit einem dicken Stock den Kopf zu zerschmettern. Der obige Peter Klein wollte mich danach auf einen Tisch binden und in Stücke reißen, um mich zu zwingen, die vorgeblich vergrabenen Gelder beizubringen. In dieser entsetzlichen Lage blieb ich von 2 Uhr Nachmittag bis abends 5 Uhr; meine gestern Abend verschiedene Gattin lag auf der Totenbahre und sollte heute beerdigt werden, meine Kinder schrieen und weinten, ich bat die Bestürmer wiederholt und ganz in Verzweiflung mich zu töten.
Um die nämliche Zeit erscholl eine Stimme: ,, Wenn ihr das Geld nicht geschwind verteilt, so seid ihr dessen los, die Kosaken sind auf dem Wege. Man führte mich Hierauf zur Kasse, worin die vorrätigen seit dem 15. Oktober 1813 erhobenen Steuern und Gemeindegelder eingeschlossen waren, nötigte mich selbige aufzuschließen, ich gab den Sack mit Geld dem Johannes Adams aus Weiler, behielt ein Körbchen mit Geld in meiner Hand, welches jedoch von 10 Händen erhascht und im raube geleert wurde. Nun entstand unter den Bauern heftiger Streit über die Verteilung; um 7 Uhr Abends war man sich noch nicht einig, als eine Schwardon von 20 Mann Kosaken eintrafen, die die versammelten Bauern aus dem Hause prügelten, während ich den Sack mit dem Geld in der Geschwinde beseitigte. Zwei von ihnen, die deutsche Sprache kennend, verlangten vom mir auf der Stelle 20.000 Reichstaler, die ich in der Kasse haben müsste, auszuliefern. Auf meine Bemerkung, dass ich selbe nicht besitze, und in der Unmöglichkeit stehe, ihrem Begehren zu willfahren, banden sie mir die Hände auf dem Rücken zusammen und zerschlugen mich mit einer Knute. Vor Schmerzen ganz außer mir, gab ich ihnen den besagten Sack, der dreihundert und siebzehn französische Kronentaler, hundert neunzig fünf Stücke von fünf Franken und verschieden andere Münzen enthielt, ich wurde dem ungeachtet, so unmenschlich fortgeschlagen, dass ich sinnlos zu Boden sank. Bei meiner Erholung befand ich mich auf einem Sessel, mein Gesicht war mit Branntwein benetzt, die Kosaken waren noch alle gegenwärtig, auch waren viele zurückgekommene Bauern in dem Haus. Ich hatte das Glück zu entfliehen, und kam durch den Wald Nachts in Mayen an. Bei meiner Sinnlosigkeit und Abwesenheit wurden die Kasse, Schränke und eine Kommode erbrochen, worin 211 Stück Brabänder Taler vorrätig waren, selbige und alles, was an Geld vorgefunden, sowie auch Leinwand, ein Pferd, Kleidungsstücke und verschiedene Möbel entwendet,”
Soweit die Aussage von Becker.
Sie wird von Förster Pung, Franz Engel aus Virneburg, Johann Frett aus Nitz, Adam Wagner aus Virneburg Peter Josef Heid und Peter Kehr aus Virneburg bestätigt. Frett schätzte die Zahl der versammelten Bauern auf 500. In den Akten werden ein Salomon von Leudesdorf und Michel Abraham May zu Neuwied genannt, die auch an einem Kassenraub in Kempenich beteiligt waren. Berthold Prößler nennt May und Salomon die als Kosaken verkleideten Räuber der Steuerkasse in Virneburg.
Die Familie Becker
– Steuereinnehmer Bartholomäus Becker, geboren am 28. 12. 1772 zu Koblenz-Pfaffendorf, gestorben am 11. 04. 1842 zu Virneburg.
– Sein Ehefrau Renata Anna Christina Walpurgis Kleudgen, Tochter des Kellermeister (Gutsverwalter) der von der Leyen zu Saffig. Sie stirbt am 06. 12. 1809 im Wochenbett.
Kinder aus dieser Ehe:
– Getrud Magdalena geb. Am 15. 4. 1798, heiratet den Schokoladenfabrikanten Brunetti aus Koblenz
– Theresia geb. Am 08. 01. 1800, heiratet den Landwirt Müller Johann aus Virneburg
– Johann Katasterkontrolleur, der sich später Gutsbesitzer nennt
– Maria Anna, ledigBecker heiratet in 2. Ehe
– Claire Lisette Meesen, aus der bekannten Mayener Familie Meesen. Sie stirbt am 01. 01. 1814 an Thypus
– Ein Kind, Maria Margareta geb. am 20.11.1885, heiratet den Virneburger Bürgermeister Carl Friedrich HermesDie Familie Becker ist eine wohlhabende Familie im armen Virneburg, in Verbindung mit Bürgermeister Hermes beherrscht der Familienclan Virneburg.
Aloys Richter (aus: Wanderather Geschichtsblätter Ausgabe 2/2003, Herausgeber Geschichts- und Kulturverein Pfarrei Wanderath e.V.)